Wie gesagt

Clemens Bellut
Heidelberg
Leiter der »artes liberales – universitas«
und des »artes liberales – Buchladen«
30. September 2021

 

Offener Brief an den Heidelberger Stadtrat
Zu seinem aktuellen Haushaltsbeschluß, den Literatur-Etat über zwei Jahre zu kürzen

Den Brief als PDF finde Sie hier…

 

»Wie gesagt …«
Sprache, Schrift, »Literatur«, UNESCO und Heidelberger Partei-»Politik«

 

Es gibt – wie sollte es anders sein – immer gute Gründe, sich, auch in Heidelberg, über die Kulturpolitik und in diesem Rahmen über die Literaturpolitik in der Stadt zu streiten.

Anlaß dazu habe ich auch selbst im Dezember 2016 gelegentlich der unterfinanzierten Ausstattung der Literaturpolitik einer »UNESCO-Literaturstadt« genommen, mit dem polemischen Aufruf an die Stadt, das label der »UNESCO-Literaturstadt« doch lieber bei Zeiten freiwillig zurückzugeben, um sich die weltweite Schmach zu ersparen, absehbar diese Anerkennung aberkannt zu bekommen wegen unterlassenen finanziellen Engagements für die »Literatur«.

Nun gibt es dazu einen neuen, erheblich verschärften  Anlaß:

Die diesjährigen Beschlüsse des Heidelberger Gemeinderats umfassen krasse Kürzungen im Doppelhaushalt 2021/22 um ca. ein Viertel im bisherigen Literatur-Budget.

Die bisherigen Ausstattungen des Literatur-Budgets von 80.000 Euro und 100.000 Euro für die Jahre 2019 und 2020 waren schon von einer gewissen Geringschätzung gezeichnet: die Geringschätzung von Bürgermeistern, Gemeinderäten und Parteien für das, was diese Stadt seit geschichtlichen Zeiten auf besondere Weise auszeichnet: das, was man mit dem höchst weitläufigen Titel der »Literatur« benennt. Das ist darum so erstaunlich, weil diese Geringschätzung, zu Ende gedacht, auch eine Geringschätzung der Stadt von sich selbst bedeuten würde.

Wenn man nun mal die besonders auch von Heidelberg ausgehende Weite eines ernsthaften Begriffs von »Literatur« vergegenwärtigt, dann braucht man sich nur das Feld der hiesigen Verlage mit ihren bundesweiten und internationalen Auszeichnungen anzusehen, den »Wunderhorn«-Verlag mit der einzigartigen europäischen, kreolischen und afrikanischen Übersetzungstätigkeiten, den wissenschaftlich weithin unverzichtbaren Universitätsverlag »Winter«, die sehr besonderen kleinen Verlage »Manutius« oder »Draupadi« u.a. – ebenso anzusehen die Heidelberger Buchhandlungen, von denen einige seit 2015 teilweise mehrfach bundesweit mit dem deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet werden, die weit über Deutschland hinaus präsenten Dichter und Schriftsteller wie der Lyriker Rainer René Mueller oder der Übersetzer und Schriftsteller Ralph Dutli, das maßgebliche Institut für Textkritik an der Universität Heidelberg verkörpert von Roland Reuß, der weithin anerkannten und wichtigsten Verkörperung der Buch- und Editionswissenschaften, ohne die es in Heidelberg und darüber hinaus schon längst nicht mehr diese Präsenz von Literatur, Buch, Edition und Textkritik geben könnte.

Das alles – fast beliebig fortsetzbar – sind Tätigkeiten, Überlieferungen, Erneuerungen und existenizielle Beiträge nicht nur, aber auch zur Lebendigkeit und Zukunftsfähigkeit dieser Stadt – wohlgemerkt auch ganz ohne Zutun der Stadt im Rahmen ihres »labels« »UNESCO-Literaturstadt«; d.h. die Stadt verdankt diesen Tätigkeiten und den zugehörigen Protagonisten die Möglichkeit, sich dieses »labels« würdig zu zeigen. Während die Hauptstraße als Einkaufs- und Touristen-Meile mit geringen Abweichungen in jeder Stadt ähnlicher Größenordnung als Fußgängerzone zu finden ist, gibt es diese Konstellation nicht ohne weiteres in einer anderen Stadt, und in keiner anderen Stadt gibt es diese weltweite Aufmerksamkeit, die Attraktivität und den globalen Austausch, die mit der Auszeichnung als »UNESCO-Literaturstadt« verbunden sind.

Freilich muß es einem schon auch ernst genug sein mit der »Literatur«, d.h. mit der alten und neuen erzählerischen, lyrischen, dramatischen, philosophischen und wissenschaftlichen Schrift- und Sprachpräsenz. Es muß einem schon ernst genug sein damit, daß es im Sinne einer zukunftsfähigen, sprachfähigen, erneuerungsfähigen Gesellschaft – bei allem Gerede von Medienkompetenzen, IT-Innovationen, KI-Steuerungen und technischen Konkurrenzfähigkeiten – um die kulturelle, gesellschaftliche, politische und dann eben auch finanzpolitische Wertschätzung von Sprache, Gespräch, Schrift und Literatur geht .

Keine Frage: Unter den gleichen Umständen gibt es derzeit noch viel dramatischere Folgen und Risiken für viele Menschen, und gewiß wird jeder förderlich denkende Mensch ihnen die ersten und dringlichsten Unterstützungen und Förderungen zubilligen. Die Lage der Zeit macht natürlich auf allen politischen Seiten außerordentlich empfänglich dafür, längst gehegte Kürzungsüberlegungen leicht einsichtig zu machen mit den unerwartbaren Sonderausgaben aller »öffentlichen Hände« im Rahmen der Ausgaben für Notmaßnahmen und Sonderleistungen. Und umgekehrt ist es ebenso einsichtig, daß von allen Seiten Protest, Kritik und Forderungen artikuliert werden, doch bitte den jeweils eigenen Finanzierungsbedarf davon auszunehmen.

Allerdings gibt es, was die sogenannte »Literatur« betrifft, auch Besonderheiten, die einer ausdrücklichen Würdigung wert sind bei der Abwägung, wie die Verteilung beschränkter finanzieller Mittel begründet und verabredet werden sollte.

Aber nach allen Zugänglichkeiten von Anträgen, Argumenten und Abstimmungen im Stadtrat zu den Haushaltsberatungen in Bezug auf »Literatur« kommt man schnell zu der Einsicht, daß es offensichtlich nur um Scheingefechte und um ganz andere Anliegen und Taktiken geht.

Tatsächlich bringt ja die Heidelberger SPD, unter dem Fraktionsvorsitz der Frau Professorin Dr. Antje Schuster, als Hauptargument in Anschlag, daß doch die Gesamtaufwendungen für »Kultur« und für das kulturelle Engagement der Stadt Heidelberg maßgeblich erhöht würden. Dazu muß man freilich wissen, daß diese Rechnung von einem durchsichtigen Motiv gesteuert wird. Die Begründung lautet nämlich so, daß insbesondere die finanzielle Ausstattung des »rainbow«-Projekts im Amt für Chancengleichheit, nun unter der Bürgermeisterschaft von Stefanie Jansen, auf eine erhebliche Aufstockung des Kulturetats hinauslaufe.

Eine gewisse Chuzpe steckt da schon drin, daß nun das neue, höchst förderungswürdige Netzwerk der »rainbow-cities« von der SPD und ihrer Fraktionsvorsitzenden Antje Schuster herhalten muß, um die erheblichen Kürzungen im Literaturetat des »Grünen«-Bürgermeisters Wolfgang Erichson zu übertünchen.

Das hat doch mindestens den Beigeschmack eines partei-»politischen« Interesses – ausgetragen auf dem Rücken der angestrebten Vorbildlichkeit einer »UNESCO-Literaturstadt« und,  schlimmer, auf Kosten der ohnehin unterfinanzierten und immer höchst gefährdeten Tätigkeiten von Menschen, die dieser Stadt allererst die Würdigung einer »UNESCO-Literaturstadt« erwirken: die Schrifstellerinnen und Lyriker, die Philosophinnen und Wissenschaftler, die Verlegerinnen, Buchhändler, Lektorinnen und Übersetzer, die Buchgestalterinnen und Illustratoren. Vieles davon findet auch ohne Entgelt oder als situativ honorierte Tätigkeit statt – und mußte darüber hinaus unter Bedingungen der Pandemie-Beschränkungen oft ausfallen. Just in dieser Lage fällt es der Fraktionsleitung der SPD ein, die Haushaltsmittel für Literatur substanziell für zwei Haushaltsjahre zu kürzen und dem Kultur-verantwortlichen Bürgermeister und dem protestierenden Roland Reuß zu Protokoll zu geben, daß doch ersatzweise erhebliche Mittel für das »rainbow«-Netzwerk, das nicht mehr in die Zuständigkeit desselben Bürgermeisters fällt, eingesetzt werden. Sie können sich erstaunlicherweise den Erfolg gutschreiben, daß sich der aktuelle Stadtrat tatsächlich auf diesen Verteilungsschlüssel und die fadenscheinige Argumentation eingelassen hat, vermutlich ja nur, weil sonst die kleinere SPD-Fraktion die Mehrheitsfraktion der »Grünen« mit dem Widerruf aller bereits stehenden Haushaltsvereinbarungen erpreßt hätte. Woraus wiederum abzulesen ist, wie wichtig dieser Fraktionsvorsitzenden Antje Schuster und ihrer SPD-Fraktion diese Querschüsse sein müssen (wie könnten gerade die »Grünen« und der Bürgermeister Erichson den Haushaltmitteln für das »rainbow«-Netzwerk etwa nicht zustimmen !) – völlig losgelöst von der Frage, was in diesen beiden Haushaltsjahren mit den schwer gebeutelten »Literatur«-Tätigkeiten und ihren existenziellen finanziellen Erfordernissen nach den Pandemie-Beschränkungen werden mag.

Anläßlich der letzten turnusmäßigen »Literaturversammlung«, einberufen von der Projektleitung »UNESCO-Literaturstadt« im Kulturamt, hat Roland Reuß vom Institut für Textkritik und Professor am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg einen Appell und Protestaufruf an den Kulturausschuß des Stadtrats gerichtet, auf den wiederum Antje Schuster im Namen der SPD-Fraktion geantwortet hat. In diesem Antwortschreiben findet sich das angedeutete Versteckspiel, die Mittel für das städtische »rainbow«-Netzwerk aufzurechnen mit den Kürzungen im Literatur-Etat … und das weitere »Argument«, daß es künftig keine Personalkosten mehr in den Aufwendungen für die »Literaturtage« geben werde, weil sie über allgemeine Personalaufwendungen im Kulturamt bestritten würden (siehe RNZ vom 30. September 2021). Und so betet und rechnet die SPD den Literaturetat gesund und kommt auf erstaunliche 40.000 Euro, die alleine den »Literaturtagen« mehr als vorher zur Verfügung stünden. Da beißt sich freilich die Schlange in den Schwanz, wenn man nicht dem Etat des Kulturamts den Teil der weggerechneten Personalaufwendungen für die »Literaturtage« mindestens komplett neu zurechnet und nicht einfach in den ohnehin aufgebrachten Personalkosten irgendwo verbuddelt.

Ein Schuft, wer Böses dabei denkt – diese Schuftigkeit mag ich mir gerne nachsagen lassen.

Die Förderung der »Literatur« ist für Heidelberg ganz gewiß nicht »alternativlos« und darf und soll Gegenstand öffentlicher Diskussionen und Streitereien sein – aber doch eher nicht mit der höchst gefährlichen Konstruktion einer finanzpolitischen Konkurrenz von sozialpolitischen und literaturpolitischen Haushaltsposten. Wer das aus a-politischen Motiven betreibt, der dreht die Schrauben der populistischen Gefährdungen eine Runde weiter und eschädigt beide Anliegen, den Anspruch einer »UNESCO-Literaturstadt« und den einer »rainbow-city«.

»Wie gesagt …«: Es gibt keinen naturgegebenen Grund, »Literatur« in der Stadt Heidelberg zu fördern und das noch, bitteschön, mit verläßlichen haushaltspolitischen Perspektiven – aber wenn man Gründe dagegen vorzubringen hat, dann soll man das auf politischen Argumenten aufbauen und nicht hinter eine Konkurrenz mit ganz anderen Haushaltstiteln fadenscheinig verstecken. Dann soll man sich lieber aufrechten Sinns von den Würdigungen und Wertigkeiten einer »UNESCO-Literaturstadt« verabschieden und frohgemut sagen, daß man dergleichen nicht braucht und nicht will und daß man sich von der überlieferten Geschichte, der gegenwärtigen Lebendigkeit und den künftigen Erneuerungspotenzialen der »Literatur« für unser gesellschaftliches Leben unabhängig fühlt.

Sonst aber, wenn keine substanziellen Gesichtspunkte vorgebracht werden können, soll man doch bitteschön den Literatur-Etat sowohl mindestens in seine letzte finanzielle Ausstattung zurückbringen als auch eine verläßliche Zukunftsperspektive für eine schrittweise Aufbesserung verabreden.